Ein Baum nach dem anderen Baum wird gerodet! Diese Nachricht verbreitete sich am Montag wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien. Mit Bedauern verfolgte ich diese Entwicklung. Vor Jahren hatte ich den umkämpften Wald bereits zweimal besucht. Das enorme Ausmaß dieser Naturzerstörung direkt bei Köln mit eigenen Augen zu sehen, hatte mich damals auf die Kohleabbauproblematik aufmerksam gemacht. Nachdem RWE und die schwarz-gelbe Landesregierung von der Erhaltung des Hambacher Waldes absahen und den Kohletagebau weiter vergrößern wollen, stand mein Entschluss schnell fest: Ich würde nach NRW fahren, um den Hambacher Forst und die Klima- und UmweltschützerInnen vor Ort zu besuchen.
Gesagt – getan! Am Donnerstag, den 30. November 2017, sitze ich, trotz verhängtem Rodungsstopp durch das Oberverwaltungsgericht Münster, in der Bahn nach Buir. Während im Landtag NRW über den Kohleabbau im Hambacher Forst gestritten wird, frage ich mich, was mich wohl gleich im Wald erwarten wird. Erleichtert stelle ich fest, dass es zumindest nicht regnet, auch wenn es kalt draußen ist. Dieser Gedanke erinnert mich daran, dass die WaldschützerInnen auch bei diesen niedrigen Temperaturen im Forst übernachten. Mir dagegen wird schon bei der Vorstellung daran kalt. Wie sehr ich den Einsatz dieser Menschen für die Natur bewundere, kann ich also kaum in Worten fassen.
Auf dem Weg vom Bahnhof in Buir, dem kleinen Dorf westlich von Köln, zum Hambacher Wald, überquere ich die mittlerweile in Betrieb genommene, neue Autobahn. Die alte A4 musste dem Kohleabbau weichen. Als ich über die Autobahnbrücke laufe, überlege ich mir, dass es wirklich grotesk ist: in Deutschland werden lieber Autobahnen, aber auch Dörfer und Städte mit ihren Einwohnern umgesiedelt als dass wir die Art der Energieproduktion ändern. Und das, obwohl wir mittlerweile wissen, welch katastrophale Auswirkungen die Kohleverstromung für uns und besonders für die Lebensbedingungen unserer Kinder und Kindeskinder haben wird. Ich frage mich, was noch passieren muss, bis wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse endlich ernst nehmen und aus der Kohlekraft aussteigen.
Mit meinen Zweifeln an der Überlebensfähigkeit der westlichen Gesellschaft, laufe ich am Ortsschild Buir vorbei. Dabei frage ich mich, wie es wohl in den nächsten Jahrzehnten hier aussehen wird. Der aktuelle Abbauplan sieht nämlich eine Vernichtung der Landschaft bis zur Autobahn in Buir vor.
Nach ein paar hundert Metern sehe ich ein Zelt. Dort befindet sich die Mahnwache und damit die erste Anlaufstelle für meinen Besuch im Wald.
Nach einer freundlichen Begrüßung bei der Mahnwache laufe ich mit einer jungen Frau, die auch in den Wald will, weiter. Auf dem Weg in den Wald kommen wir an diesem improvisierten Schild vorbei.
Meine Begleiterin erzählt mir, dass RWE wie bei diesem toten Baum (siehe Foto oben), Baumnischen mit Plastiktüten zugeklebt hat. So können dort keine Fledermäuse überwintern und der Wald kann weiter gerodet werden. Was tut diese Firma nicht alles, um ihren Profit zu sichern?!
Wir laufen weiter und betreten das “Abenteuer-Revoluzzerland”. Diese Straßensperre aus Baumstämmen und Ästen kann man noch umfahren. Die nächste blockiert die gesamte Straße. Ich bin in meinem Öko-Abenteuer angekommen. Beeindruckt vom Einsatz für den Erhalt des Hambacher Forstes folge ich der jungen Frau tiefer in den Wald.
Abseits der Straßen begeben wir uns tiefer in diesen alten Laubwald. Ich staune über den Revoluzzer-Eingang ins Revoluzzerdorf, bzw. die Revoluzzerdörfer. Es gibt mittlerweile nämlich mehrere. Bei meinem letzten Besuch im Jahr 2014 im Hambacher Wald konnten wir bereits einige Baumhütten bewundern.
Mittlerweile gibt es mindestens zwei “Dörfer”. Unser Weg führt uns nach Gallien. Dort angekommen, betritt die junge Waldschützerin, die für einen weiteren Besuch kam, das große Versammlungszelt in dem ein Lagerfeuer brennt und Wärme spendet. Mehrere, vermutlich jüngere Menschen als ich es bin, sitzen um das Feuer herum. Meine Begleiterin sucht die Person, bei der mich mich melden soll, um mich über meine Fotorechte und Pflichten aufzuklären.
Überall im Dorf herrscht geschäftiges Treiben. Ich bin überrascht über die vielen Menschen, die ich sehe. Es sind meist junge Umweltaktivisten. Vereinzelt sehe ich auf ältere Personen. Fasziniert staune ich in den Himmel. Dort sieht man in den Baumkronen viele Baumhäuser. Von der Fähigkeit, die diese Menschen hier haben, in derartiger Höhe wind- und regenfeste Baumhütten zu bauen, bin ich sehr beeindruckt.
Die Person, mit der ich sprechen soll, findet sich ein. Wir tauschen uns aus. Ich kann alles fotografieren, was ich will, nur keine Personen, falls diese nicht expliziert ihr Einverständnis dazu gegeben haben.
Ich äußere den Wunsch, die Stelle zu sehen, wo die Bäume Tage zuvor gefällt wurden. Die Person, die den Namen einer Vogelart trägt, erklärt sich bereit, mir diese Stelle zu zeigen. Zuvor will er allerdings noch einige Dinge zusammen suchen, um diese mit zur Straße zu nehmen.
Die Wartezeit verbringe ich damit, möglichst viel vom Dorf, ohne die Menschen, zu fotografieren. Stolz weist man mich auf die Zentrale hin: ein zweistöckiges Baumhaus! So etwas muss man erstmal bauen können! In unterschiedlichen Sprachen höre ich Menschen reden. Auf einem großen Schild wird erklärt wie feste Knoten zum Klettern u.s.w. gemacht werden.
In der Mitte und Herzen des Dorfes steht ein großer, dicker Baum, der die Kernbotschaft der WaldbesetzerInnen an sich trägt: KEEP IT IN THE GROUND. Lasst die Kohle in der Erde!
Und nochmal staune ich in die hohen Baumkronen und freue mich über den Entschluss – trotz der langen Busfahrt aus Berlin – in den Hambacher Wald gekommen zu sein.
Die Kreativität der Menschen im Wald kennt kaum Grenzen.
Das Schwarze Brett in Gallien. Im Dorf kann man den Geist des Widerstandes fast mit Händen greifen.
Die Person mit der wir weitergehen, hat seine Sachen beisammen und wir machen uns auf den Weg.
Ich frage mich, ob man eine solche Besetzung nicht auch mal im südamerikanischen Regenwald aufbauen könnte, um die Rodungen dort aufzuhalten.
Auf dem Weg zurück zur Straße kommen uns einige Menschen entgegen. Es sind auch BesucherInnen vor Ort, die sich das Dorf ansehen.
Dicht bei der Stelle, wo die neusten Rodungen stattfanden, stehen provisorische Barrikaden auf der Straße.
Dies ist der Wald, für dessen Erhalt sich die WaldschützerInnen so vehement einsetzen.
Wir verlassen die Straße wieder und steigen vorsichtig ein kleines Abhängchen runter. Der Boden ist voller Blätter und nass. Wir müssen aufpassen, dass man nicht ausrutscht und hinfällt. Auf dieser kleinen Erhöhung kommt man vom bestehenden Wald an die Stelle, von wo man den Rodungsort sehen kann. Für mich ist es ein bedrückendes Gefühl dieses “Baummassaker” vor mir zu haben.
An dem Rodungsort sehen wir viele frische und dicke Staumstümpfe. Die Bäume, die hier gefällt wurden, waren also teils schon älter. Ich muss an Herr der Ringe 2 denken und bedauere, dass diese Bäume sich natürlich nicht wie im Film gegen dieses Unrecht der Natur gegenüber wehren konnten.
Zwischen den gerodeten Bäumen sind noch einige, die stehen gelassen wurden.
Mit Bedauern sehe ich wie viel Natur hier für die fossile Gewinnmaximerung von RWE zerstört wurde.
Obwohl wir tief im Wald sind, herrscht reges Treiben an der Rodungsstelle. Einige WaldschützerInnen befinden sich in den noch stehenden Bäumen, um zu ihrem Schutz dort Baumhäuser zu errichten. Andere Menschen laufen zwischen den gerodeten Baumstämmen umher. Eine Frau erzählt mir, dass sie zwei Kinder hat, aus Düsseldorf kommt und sich den Ort des Geschehens einmal selber ansehen wollte. Sie bietet mir an, mit ihr zurückzufahren.
Der Ressourcenkampf, der für das 21. Jahrhundert vorhergesagt wurde, tobt nun also auch in Deutschland. Im Hambacher Forst geht es um die Nutzung von natürlichem Kapital. Sollen wir die CO2-intensive Braunkohle nutzen, die tief in der Erde liegt oder die Ressourcen wie die frische Luft und den CO2-Speicher, die der Hambacher Wald bietet?
Sollen wir als Gesellschaft Entscheidungen, die vor Jahrzehnten mit der Erlaubnis zum Kohleabbau bei Köln getroffen wurden, weiterhinaufrecht erhalten? Können wir dies tun, auch wenn sich die Weltlage seitdem dramatisch geändert hat und wir mittlerweile durch die Erneuerbaren Energien Alternativen zur fossilen Stromerzeugung haben?
Mit diesen Fragen schaue ich nochmal zum intakten Wald, der gleich neben der Rodungsstelle liegt.
Als Mahnung für den Umgang mit unserem natürlichen Kapital nehme ich mir ein Ästen von einem gerodeten Baum mit.
Wer weiß, wie lange diese Baumkronen an der Rodungsstelle einen noch erfreuen können.
Die Natur im Wald ist vielfältig und schön zu entdecken.
Für meinen Besuch im Hambacher Forst habe ich das passende Motto-Hemd angezogen.
Wie mit einem Moosfuß steht dieser Baum fest im Boden.
Mich stimmt die Naturzerstörung traurig und nachdenklich. Wie kann Deutschland nur an der Kohleverstromung festhalten, obwohl wir wissen, dass die hohe CO2-Belastung unser Klima kaputt macht und kippen lässt?
Links in diesem Foto sieht man das “große Nichts”, das kilometerlange Kohleloch, das den Wald frisst.
Gerodeter Baumstumpf um Baumstumpf sind stumme Mahnmale für unseren Umgang mit der Natur.
Moos überzieht totes Holz.
Ich stelle eine Gedenkkerze für die gerodeten Bäume auf. Der kalte Wind bläst sie schnell wieder aus.
Von der alten Straße hat man einen “guten” Blick auf die Waldzerstörung vom Montag.
Wenn man in die andere Richtung schaut, sieht man das große Loch, das immer mehr Landschaft mit der Biomasse darauf frisst. Auf der anderen Seite der Straße, an der Stelle, wo sich die blauen Dixi-Klos befinden, ist “Feindesland”. Ab dieser Stelle halten sich an diesem Tag wieder RWE-Mitarbeiter auf.
Nasses Laub schützt den Waldboden.
In die andere Richtung der Straße sieht man wieder die Klima-Revoluzzer an einem wärmenden Lagerfeuer an der einen Straßenbarrikade.
Die Natur im Wald überwuchert einen Baumstumpf.
Als ich mich auf den Rückweg nach Düsseldorf mache, bin ich von den mutigen Menschen schwer beeindruckt, die – für kurz oder lang – in diesem Wald leben, um ihn zu schützen, trotz Kälte, Regen und der frühen Dunkelheit im Winter!
Zudem weiß ich, dass nicht nur im Hambacher Forst, die Hoffnung (durch die Waldbesetzung) auf eine nachhaltige Zukunft, sehr nah an der Enttäuschung (durch die Rodungen) durch das Festhalten an der fossilen Energieproduktion liegt. Der Ressourcenkampf im Hambacher Wald spiegelt also sehr exemplarisch den richtungsweisenden Streit der Gegenwart wieder. Denn wir müssen uns entscheiden, wie wir die Zukunft im 21. Jahrhundert gestalten wollen: rückwärts gewandt und fossil oder zukunftsorientiert und erneuerbar. Es ist wohl bezeichned für diesen Kampf, dass die junge Generation für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur steht während die fossilen Wirtschaftsinteressen RWEs von weißen, alten Männern vertreten werden.
Ich bin den Hambacher Wald-Revoluzzern für ihren Einsatz für eine CO2-arme Gesellschaft auf jeden Fall unglaublich dankbar und bewundere ihren Mut. Auf ihren Schultern ruhen die Hoffnungen auf einen lebenswerten Planeten der nächsten Generationen! Unterstützen wir sie wo und wie wir können.
Bevor ich den Hambacher Wald verlasse, mache ich noch ein Foto mit einem Baum und meinem neusten Tattoo.
Als ich am Donnerstag durchgefroren in Düsseldorf ankomme, gibt es einen weiteren Hoffnungsschimmer. Während meiner Stunden im Hambacher Wald wurde nämlich Gerichtsgeschichte geschrieben. Das Oberlandesgericht in Hamm hat bekannt gegeben, dass es die Klage eines Kleinbauern aus Peru gegen RWE zulässt. Damit wird nun erstmalig in einem deutschen Gericht darüber entschieden, ob RWE sich an den Folgekosten seiner Aktivitäten beteiligen muss.
2.12.2017, Berlin, Molina Gosch
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Bei Fragen oder Rückmeldungen freue ich mich von euch/Ihnen zu hören.
Weitere Infos zur Hambacher Waldbesetzung gibt es hier.
—> RETTET DEN HAMBACHER FORST! <—